'Speicherexperten' – „Life is a rollercoaster“ (Herr Horn)
Es sei ein ganz „buntes Volk“, das bei der Self Storage Firma 'My Place' eine Lagerbox mietet: Von gewerblichen Kunden, die hier ihre Akten, Ordner oder Produkte unterstellen bis zu den privaten Kunden, die aufgrund von Trennung, Umzug, Zusammenzug, Auslandsaufenthalt oder Arbeitsplatzwechsel, Erbschaft, feuchter Keller oder Platzmangel, etc. Lagerraum benötigen, um zumindest Teile ihres Besitzes ein- beziehungsweise auszulagern.
Vom Rechtsanwalt, dem Handwerker, der Promotionagentur, der Hilfsorganisationen oder dem Ebay-Händler über den Studenten, der alten Dame, dem Porsche- oder Harleyfahrer, dem älteren Modelleisenbahnfreund, der Hartz IV- Empfängerin, dem Sportbegeisterten, dem Obdachlosen, dem Hobby-DJ, der Witwe oder dem ˈVerrücktenˈ, der behauptet, seine drei Schwestern seien hinter seinem Erbe her, ist alles vertreten. Geschlecht, Alter, Charakter, soziale Herkunft, aktuelle Tätigkeit und Interessen unterscheiden sich ebenso wie Einlagerungsgrund, -dauer und -inhalte.
Das folgende Kurzporträt soll einen ersten Eindruck von der entsprechenden Persönlichkeit und den Motiven zur Einlagerung bei Self Storage vermitteln, wie er seinen leeren Lagerraum füllt und diesen zu seinem 'Speicher' erklärt. Daher bezeichne ich ihn als 'Speicherexperten'.
Der gelernte Sozialpädagoge Herr Horn fährt seit Jahren schon Taxi in seiner Heimatstadt Hamburg. Früher, vor 1990, liefen die Geschäfte blendend, aber heute sind die Zeiten schwieriger. Das 'leichte Leben', mit einem Trink in der Hand am Strand, ist für den 55-Jährigen Utopie. Nachts muss er mit seiner ˈTaxeˈ Geld verdienen und tagsüber den Schlaf nachholen. Es bleibt wenig Zeit, das eigene Leben zu organisieren. Mit dem letzten Umzug in eine kleinere Wohnung 2007 sind von den vorübergehend acht Lagerräumen bei der Hamburger Filiale von MyPlace in Groß Borstel noch drei übrig geblieben. „Aus Zeitgründen wurde das jetzt einfach mal hier rein gepackt und aus Zeitgründen ist das jetzt hier drin und aus Zeitgründen bleibt es erst mal, bis ich Zeit finde, das dann irgendwie mal richtig durch[zu]gehen“ meint Herr Horn. Zeit ist für ihn das entscheidende Stichwort. Mit der Zeit sammle man immer „mehr Krempel“ an, mit der Zeit ändere sich aber auch der Bedarf an Dingen und deren Gebrauch. Als Musikliebhaber schätze er mottobezogene Platten wie zum Beispiel Ronan Keatings „Life is a rollercoaster“. Der Titel beschreibe perfekt sein unbeständiges Leben: ein wellenförmiges Auf und Ab. „Und so ist das auch mit den Dingen, die gebraucht werden. Die werden ganz dringend gebraucht und sehnsüchtigst erwartet in irgendwelchen Momenten und nach einer Weile, irgendwie, sind die komplett uninteressant“. Dinge verlieren ihren Gebrauchswert, veralten, gehen kaputt, werden einfach nicht mehr gebraucht oder ganz vergessen. Der normale 'Gang der Dinge' wäre, die Dinge genau dahingehend zu überprüfen, aber Herrn Horn fehlt die Zeit dazu. Von einem 'planlosen' Platz schaffen, um des Platzes willen, hält er jedoch auch nichts, sodass sich der angemietete Lagerraum als eine wunderbare und lohnenswerte Lösung herausstellt. Der Lagerraum sei für ihn, was der Gnadenhof für ein Pferd ist, ein Ort, um den Dingen nochmal „ein wenig Zeit [zu]gewähren“. So finden sich im ersten Lagerraum die Reste des Umzugs, im zweiten Lagerraum eine Menge Autoteile, meist 'Souvenirs', die er aus seinen früheren Autos ausgebaut hat, bevor sie auf dem Schrottplatz landeten. Ein Funkgerät oder das alte Taximikrofon finden sich darunter, von ihnen würde er sich nie trennen. Er bittet mich, ihn mit dem Mikrofon in der Hand vor dem geöffneten Lagerraum zu fotografieren, er steht mit ausgestreckten Armen vor mir und lächelt in die Kamera. Hinter ihm ein Durcheinander an Dingen. Der Lagerraum ist bis oben hin 'voll gestapelt' und etwas zu finden ein wahrer Kraftakt. Er würde gerne alles mehr strukturieren, doch ihm fehle wieder einmal die Zeit dazu, bemerkt er entschuldigend. Seinen dritten Lagerraum können wir nicht besichtigen, da er den Schlüssel nicht mitgebracht hat. Aber es sei sowieso 'nur' das, was vorher im Keller lagerte. Den Anfahrtsweg zum Lagerraum von inzwischen 10 Kilometern nimmt er gerne allmonatlich in Kauf. Er fühlt sich hier wohl. Wir unterhalten uns noch lange im Empfang. Schließlich verabschiedet er sich, die nächste Schicht beginnt. Zum Abschied bemerkt er, inzwischen sei er um eine Sorge leichter, die einstige Frage „Wohin mit dem überzähligen Kram?“, dafür hat er im angemieteten Lagerraum seine Lösung gefunden.
Annelie Knust
Annelie Knust studierte Empirische Kulturwissenschaft, Erziehungswissenschaft und Kunstgeschichte auf Magister an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Ihre Abschlussarbeit "Zum Wegwerfen zu schade?" im Fach Empirische Kulturwissenschaft am Ludwig-Uhland-Institut handelt von Menschen, ihren Dingen und ihren Erfahrungen mit deren Speicherung bzw. Einlagerung bei „Self Storage–Firmen“ (Selbstlagerzentren). Seit April 2013 arbeitet Annelie Knust als Assistenz im Museum "Fondation Beyeler" in Basel.