Über neue Räume und der Idee des Lagerns von Ordnung - Teil II
Während des Projekts „Garagen“, das Dominik Nostitz gemeinsam mit zwei weiteren Kuratoren für die Vienna Art Week 2015 ins Leben gerufen hatte, wandelte er den MyPlace-Lagerraum 9104 in einen Kunstraum um. Neben der künstlerischen Betrachtung der Funktionalität und Ästhetik von Garagen, war das Lagern von Erinnerungen ein weiteres Phänomen, das ihn während seines Kunstprojektes begleitete.
Erinnerungen "365+"
Mein Jahr besteht aus einer Vielzahl an unterschiedlichen künstlerischen, kulturellen oder sozialen Aktionen, Interventionen und Projekten, die sehr viele Kunstrichtungen beinhalten können und an unterschiedlichsten Orten stattfinden. Aus dieser Vielzahl an Erlebnissen, die ich mir über das Jahr schaffe, tendiere ich wohl auch dazu, einiges zu vergessen. Um diesen Effekt zu umgehen, habe ich mir eine Art Memory-Spiel aus meinen bildlichen Erinnerungen an Veranstaltungen und andere Erlebnisse geschaffen: 365 Postkarten mit Fotos, die ich oder ein Fotograf geschossen haben. Diese Fotoreihe habe ich sodann ein zweites Mal drucken lassen. Die Bilder habe ich mit Klebeband an eine meiner Garagenwände geklebt - in einem wilden Mix ohne zeitliche oder inhaltliche Ordnung. Auf die gespiegelte Wand klebte ich die zweite Edition, die gleichen Bilder in einer neuen Aufstellung.
Der Effekt war berauschend und beruhigend zugleich. Die Erinnerungen an die Ereignisse eines Jahres wurden plötzlich wieder spürbar und lebendig. Gleichzeitig vermittelten sie das Gefühl, diesem Vergangenen einen Aufenthaltsort zu bieten; einen Lagerraum der persönlichen Erinnerungen, der (vielleicht nur meines Erachtens) ihrer würdig ist. Die vielen Momente hatten für mich einen besonderen persönlichen Wert und eröffneten im Zuge des Entwickelns neue Perspektiven und Erfahrungen. Sie sollten nicht irgendwo auf einer Festplatte als stumme Gigabytes ein stilles Dasein fristen, sondern ihre Funktion als Erinnerungspool wahrnehmen. Insofern ist der MyPlace-Lagerraum 9104 für mich eine Mischung aus Atelier und Kunstraum: ein Erleichterungsraum, weil er befreiend wirkt, eine Art „Spa“ für Dinge sowie eine kraftvolle Wirkungsstätte für den künstlerischen Ausdruck.
Mit der Umstrukturierung und der Umstellung, dem Transport und der Neuaufstellung habe ich das Gefühl, den Dingen wieder mehr Bedeutung beigemessen und eine neue Form der Eigenständigkeit für sie gefunden zu haben. Vielleicht scheint es aber auch nur so, weil sie jetzt weiter weg von zu Hause sind, wie in einem Internat in der Schweiz, das die beste Ausbildung und Kuration verspricht.
Zum Abschluss des Projektes hat mich eines wirklich überrascht: die Freude, die ich während des Einlagerns und Aufstellens empfand. Durch den künstlerischen Ansatz entstand plötzlich eine weitere Sinnebene, die den Objekten spürbar positiv zugutekam. Und ich spürte die Freiheit des Platzierens von Dingen, die in einem Lagerraum komplett frei gestaltet werden können. Sie setzen keine Systematik einer Anordnung voraus wie etwa bei Gerätschaften in einer Küche oder einem Badezimmer. Wie man die Dinge legt, so lagern sie und gefallen sie sich ihrer selbst.
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Dominik Nostitz
Dominik Nostitz arbeitet unter anderem als Kulturmanager und Musiker in Wien. Er ist kulturschaffender Gründer einiger Initiativen und Plattformen, wie shostakovich in jeans, music distillery oder cultureViews. Sein „verein08“ ist eine Plattform für künstlerische Bewegungen, bewegende Kunst, experimentelle Formen, interdisziplinäre Geschehen und Ähnlichem. Er studierte Rechtswissenschaften, Kunstgeschichte und Philosophie und reiste zwei Jahre als Straßenmusiker durch ganz Europa.